Neulich in einem meiner Workshops entstand eine Situation, die mir wieder einmal gezeigt hat, wie wichtig es ist, Stress nicht nur theoretisch zu betrachten, sondern ganz konkret. Ich hatte die Gruppe eingeladen, über drei einfache Fragen nachzudenken: Wann gerate ich in Stress? Wie wirkt er sich bei mir aus? Und was hilft mir, besser damit umzugehen?
Zunächst war es still im Raum. Man merkte: Stress ist ein Thema, das jede und jeden betrifft – aber nicht immer leicht in Worte zu fassen ist. Dann fingen die ersten an zu erzählen. Ein Teilnehmer sagte: „Wenn alles gleichzeitig auf meinem Tisch landet, verliere ich den Überblick.“ Viele nickten zustimmend. Andere ergänzten, dass es weniger die Menge an Aufgaben sei, die belastet, sondern das Gefühl, keine Zeit für Priorisierung zu haben. Wenn zu viele Dinge gleichzeitig im Kopf kreisen, geht der rote Faden verloren – und damit auch das Gefühl von Kontrolle.
Besonders eindrücklich waren die Beschreibungen, was dieser Zustand auslöst. Einige erzählten, dass sie kurzatmig werden, andere von explosiven Reaktionen oder – im Gegenteil – vom Rückzug ins „Schneckenhaus“. Manche berichteten von Rückenschmerzen, Kopfschmerzen oder gar einem Gehörsturz, wenn es zu viel wird. Hier wurde spürbar: Stress ist kein abstraktes Wort. Er zeigt sich unmittelbar im Körper, in der Stimmung, im Verhalten. Er lässt uns gereizt reagieren oder uns abschotten, er raubt Energie und erzeugt ein starkes Bedürfnis nach Ruhe.
Doch die Übung machte auch sichtbar, dass jeder Strategien entwickeln kann, um gegenzusteuern. Manche erzählten vom bewussten Atmen, etwa nach der 4-7-11-Methode – vier Sekunden einatmen, sieben halten, elf ausatmen. Andere schließen im Büro einfach mal die Tür, um einen Moment Rückzug zu schaffen. Ein Satz, der in der Gruppe hängenblieb, lautete: „Wenn du es eilig hast, gehe einen Umweg.“ Gerade das bewusste Entschleunigen hilft, den Kopf wieder frei zu bekommen. Auch klassische To-do-Listen wurden genannt, die Ordnung ins Chaos bringen und den Überblick zurückgeben.
Für mich zeigt diese Übung jedes Mal aufs Neue, wie wertvoll es ist, Stress nicht zu verdrängen, sondern sichtbar zu machen. Wenn Menschen ihre Erfahrungen teilen, merken sie: Ich bin nicht allein. Wenn Teams verstehen, wie unterschiedlich Stress sich zeigt, entsteht mehr Rücksicht und Verständnis füreinander. Und wenn Führungskräfte Räume eröffnen, in denen über Stress offen gesprochen werden darf, dann schaffen sie die Basis für Gesundheit, Motivation und echte Zusammenarbeit.
Stress verschwindet nicht von allein. Aber wir können lernen, ihn frühzeitig zu erkennen und bewusst gegenzusteuern – mit Klarheit, Struktur und kleinen, alltagstauglichen Schritten. Genau darin liegt die Chance: aus der Überforderung zurück in die Selbstwirksamkeit zu finden.
Und genau das wünsche ich allen, die täglich viele Bälle gleichzeitig in der Luft halten.