Selbstüberschätzung im Team: Wie Führungskräfte konstruktiv und motivierend damit umgehen können
19. Mai 2025
Wenn Mitarbeitende ihre eigenen Kompetenzen überschätzen, stellt das Führungskräfte vor eine besondere Herausforderung. Denn überhöhte Selbsteinschätzung kann nicht nur zu Fehlentscheidungen führen, sondern auch die Zusammenarbeit im Team belasten. Gleichzeitig wäre es ein Fehler, solchen Mitarbeitenden einfach die Grenzen aufzuzeigen – zu groß ist das Risiko, sie zu entmutigen oder in eine Abwehrhaltung zu bringen. Entscheidend ist deshalb ein reflektierter und zugleich menschlicher Umgang.
Psychologische Grundlagen verstehen
Die Selbstüberschätzung von Mitarbeitenden lässt sich häufig mit dem Dunning-Kruger-Effekt erklären: Menschen mit geringer Kompetenz erkennen ihre Defizite nicht – gerade weil ihnen das nötige Wissen fehlt, um sich realistisch einzuschätzen. Daraus folgt nicht nur eine überzogene Selbsteinschätzung, sondern oft auch eine Unterschätzung der Fähigkeiten anderer. Das hat direkte Auswirkungen auf die Teamkultur: Feedback wird abgewehrt, Verantwortung überstrapaziert, Risiken unterschätzt.
In der Persönlichkeitspsychologie wird zusätzlich der Overconfidence Bias beschrieben – also die systematische Überschätzung der eigenen Fähigkeiten oder der Sicherheit von Entscheidungen. Auch dieser Mechanismus kann dazu führen, dass sich Mitarbeitende resistent gegenüber Kritik zeigen oder sich in Projekten überfordern, ohne es selbst zu merken.
Was Führungskräfte tun können
Um mit Selbstüberschätzung konstruktiv umzugehen, braucht es Fingerspitzengefühl, Struktur und eine Kultur, die Lernen und Reflexion fördert.
- Selbst– und Fremdwahrnehmung systematisch abgleichen Eine der wirksamsten Strategien ist, Mitarbeitende aktiv in Selbstreflexion einzubinden. Beginne Feedbackgespräche mit einer offenen Frage: „Wie schätzt du deine Leistung in Projekt X ein?“ Damit gibst du der Person die Möglichkeit, sich selbst ein Bild zu machen – und signalisierst, dass du an ihrer Sicht interessiert bist. In einem nächsten Schritt kannst du Rückmeldungen aus dem Team oder von Kunden behutsam ergänzen. So entsteht ein Vergleich zwischen Selbst- und Fremdbild, der das Bewusstsein für blinde Flecken stärkt.
- Konkretes, faktenbasiertes Feedback geben Verzichte in Gesprächen auf pauschale Aussagen wie „Das war nicht gut“ oder „Du überschätzt dich“. Beschreibe stattdessen spezifisch, was du beobachtet hast: „In der Präsentation letzte Woche sind mehrere Fragen offen geblieben – das hat beim Kunden den Eindruck erweckt, dass wir nicht vorbereitet waren.“ So bleibt das Feedback nachvollziehbar und sachlich. Entscheidend ist auch der Ton: Wertschätzung und Respekt bilden die Grundlage, damit Feedback überhaupt angenommen wird.
- Zukunftsorientierung statt Schuldzuweisung Formuliere Rückmeldungen im Sinne eines „Feedforward“: nicht mit dem Ziel, Verhalten zu verurteilen, sondern um Perspektiven für Weiterentwicklung zu eröffnen. Eine mögliche Frage: „Was würdest du beim nächsten Mal anders machen, damit dein Beitrag noch wirkungsvoller ist?“ Das verändert die Haltung – weg vom Defizit, hin zum Potenzial.
- Gezielte Entwicklungsimpulse setzen Wenn deutlich wird, dass Wissen oder Kompetenzen fehlen, hilf der betreffenden Person, gezielt daran zu arbeiten – etwa durch Coaching, Mentoring oder Trainings. Wichtig ist, dies nicht als „Reparaturmaßnahme“ zu vermitteln, sondern als Investition in die eigene Entwicklung. So bleibt das Selbstwertgefühl intakt und die Motivation hoch.
- Selbstreflexion fördern – im Einzelgespräch und im Team Ermögliche regelmäßig den Austausch über Stärken und Entwicklungsfelder. Nutze Instrumente wie das Johari-Fenster oder strukturierte Feedbackformate, um blinde Flecken sichtbar zu machen. Auch kollegiales Coaching oder Peer-Feedback können dazu beitragen, dass überzogene Selbstbilder realistischer werden – ohne dass du als Führungskraft immer allein in der Verantwortung stehst.
- Sprache bewusst einsetzen: Wachstum betonen Verwende eine Sprache, die Entwicklung ermöglicht. Statt „Du kannst das nicht“ lieber „Du kannst das noch nicht“. Schon kleine Formulierungsunterschiede machen den Unterschied zwischen Blockade und Lernbereitschaft. Besonders wirkungsvoll ist es, Anstrengung zu loben („Ich sehe, wie viel Energie du da reingesteckt hast“) – das unterstützt ein dynamisches Selbstbild, das auf Lernen statt auf Status baut.
- Verantwortung dosiert übergeben Mitarbeitende, die sich überschätzen, neigen oft dazu, sich zu überfordern – oder übernehmen Aufgaben, denen sie noch nicht gewachsen sind. Achte als Führungskraft darauf, Verantwortung bewusst zu dosieren. Die Erfahrung, eigene Grenzen zu erleben und gleichzeitig Unterstützung zu erfahren, wirkt häufig regulierend auf das Selbstbild.
- Teamkultur der Offenheit und Lernbereitschaft aufbauen Selbstüberschätzung gedeiht am besten dort, wo Rückmeldung selten ist und Fehler als Schwäche gelten. Fördere deshalb eine Kultur, in der Lernen, Scheitern und Entwicklung zum Alltag gehören. Gehe selbst mit gutem Beispiel vor: Bitte aktiv um Feedback, zeige deine eigenen Lernfelder auf – und signalisiere, dass es normal ist, nicht alles zu können.
Selbstüberschätzung ist kein individuelles Versagen, sondern ein menschlicher Denkfehler – oft Ausdruck eines Bedürfnisses nach Sicherheit und Anerkennung. Für dich als Führungskraft besteht die Kunst darin, diesen blinden Fleck nicht als Problem, sondern als Entwicklungschance zu begreifen. Wenn es dir gelingt, Ehrlichkeit mit Empathie zu verbinden und kritisches Feedback mit einem klaren Entwicklungspfad zu koppeln, entsteht echte Lernbereitschaft. So stärkst du nicht nur das einzelne Teammitglied – sondern auch die Reife und Selbstreflexionsfähigkeit deines gesamten Teams.
