Einführung in das Konzept der Salutogenese
Der Begriff “Salutogenese” kombiniert das lateinische Wort “salus” (Gesundheit) mit dem griechischen “genesis” (Entstehung) und wurde von dem Medizinsoziologen Aaron Antonovsky eingeführt. Im Gegensatz zur Pathogenese, die sich auf die Ursachen und Entwicklung von Krankheiten konzentriert, beschäftigt sich die Salutogenese mit den Faktoren, die Gesundheit erhalten und fördern.
Antonovskys Ansatz zielt darauf ab, die Bedingungen zu verstehen, die Menschen trotz Belastungen und Herausforderungen gesund halten. Dabei steht das Kohärenzgefühl im Zentrum, welches wesentlich zur Stärkung und Aufrechterhaltung der Gesundheit beiträgt.
Das Kohärenzgefühl: Der Schlüssel zur Gesundheit
Das Kohärenzgefühl besteht aus drei Hauptkomponenten:
- Verstehbarkeit („sense of comprehensibility“)Die Überzeugung, dass das eigene Leben verstehbar, kognitiv klar und strukturiert (nicht chaotisch) ist. Menschen mit einem hohen Maß an Verstehbarkeit sehen ihre Umwelt als geordnet und vorhersehbar an.
- Bewältigbarkeit („sense of manageability“)Die Zuversicht, dass die Anforderungen und Belastungen im Laufe des Lebens im Wesentlichen zu bewältigen sind. Diese Menschen sind überzeugt, dass sie die notwendigen Ressourcen und Fähigkeiten besitzen, um mit Herausforderungen erfolgreich umzugehen.
- Sinnhaftigkeit („sense of meaningfulness“)Das Grundgefühl, dass das eigene Leben sinnvoll ist und die auf einen zukommenden Anforderungen es wert sind, dafür Energie zu investieren. Diese Komponente motiviert, sich aktiv mit Herausforderungen auseinanderzusetzen.
Menschen mit einem hohen Kohärenzgefühl sind besser darin, Stressoren zu bewältigen und die dafür notwendigen Ressourcen effektiv einzusetzen. Dadurch bewegen sie sich auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum eher in Richtung Gesundheit. Im Gegensatz dazu haben Personen mit einem niedrigen Kohärenzgefühl Schwierigkeiten, die Herausforderungen in ihrem Leben zu meistern, was sie tendenziell in Richtung Krankheit verschiebt.
Das Modell der Salutogenese

Abb. 1. Das Modell der Salutogenese von Antonovsky (nach Antonovsky 1979, S. 184 f., siehe Faltermaier 2023, S. 80)
Antonovsky entwickelte das Modell der Salutogenese, das Gesundheit und Krankheit nicht als gegensätzliche Zustände betrachtet, sondern als zwei Pole eines Kontinuums. Jeder Mensch bewegt sich im Laufe seines Lebens ständig zwischen diesen beiden Polen, abhängig von den jeweiligen Lebensumständen und der Fähigkeit, mit Stressoren umzugehen.
Gesundheits-Krankheits-Kontinuum
Nach diesem Modell existieren Gesundheit und Krankheit auf einem Spektrum, auf dem sich jeder Mensch bewegt. Verschiedene Faktoren beeinflussen, wo auf diesem Kontinuum man sich zu einem bestimmten Zeitpunkt befindet. Entscheidend ist, wie gut eine Person mit diesen Faktoren umgehen kann und welche Widerstandsressourcen ihr zur Verfügung stehen.
Widerstandsressourcen
Widerstandsressourcen spielen eine zentrale Rolle im Modell der Salutogenese. Dazu gehören genetische Veranlagungen, psychische Resilienz, soziale Unterstützung, finanzielle Stabilität und das Bewusstsein für die eigene Gesundheit. Diese Ressourcen helfen, Stressoren zu bewältigen und das Kohärenzgefühl zu stärken.
Strategien zur Stärkung des Kohärenzgefühls
Um das Kohärenzgefühl und somit die Gesundheit zu fördern, können verschiedene Ansätze verfolgt werden:
- Bildung und Wissenserwerb: Indem wir unser Wissen erweitern und Situationen reflektieren, können wir die Verstehbarkeit erhöhen. Dies hilft, die Welt als geordnet und verständlich wahrzunehmen.
- Ressourcenmobilisierung: Die Nutzung und Stärkung der eigenen Ressourcen, wie soziale Unterstützung und persönliche Fähigkeiten, trägt zur Handhabbarkeit bei. Es ist wichtig, sich der eigenen Stärken bewusst zu sein und diese gezielt einzusetzen.
- Sinnstiftung im Alltag: Das Setzen von klaren Zielen und das Engagement in bedeutungsvollen Tätigkeiten fördern die Bedeutsamkeit. Ein sinnhaftes Leben trägt wesentlich zur psychischen und physischen Gesundheit bei.
Praktische Tipps zur Stressbewältigung
In stressigen Situationen kann es hilfreich sein, sich folgende Fragen zu stellen:
- Verstehbarkeit: Was sind die Ursachen und Auslöser dieser Situation? Wie lässt sich die Situation erklären?
- Handhabbarkeit: Welche Ressourcen stehen mir zur Verfügung, um die Situation zu bewältigen? Wie kann ich meine Fähigkeiten und Unterstützung nutzen?
- Bedeutsamkeit: Warum ist es wichtig, diese Herausforderung zu meistern? Welche langfristigen Ziele verfolge ich und wie trägt diese Situation dazu bei?
Durch das bewusste Auseinandersetzen mit diesen Fragen und das Erkennen der eigenen Ressourcen kann das Kohärenzgefühl gestärkt werden, was wiederum die Gesundheit fördert.
Das Konzept der Salutogenese bietet wertvolle Einblicke in die Erhaltung und Förderung der Gesundheit. Ein starkes Kohärenzgefühl, das durch Verstehbarkeit, Bewältigbarkeit und Sinnhaftigkeit gekennzeichnet ist, hilft dabei, den Herausforderungen des Lebens gesund zu begegnen. Indem wir unsere Ressourcen erkennen und nutzen und unser Leben als sinnvoll und verständlich empfinden, können wir trotz Belastungen ein gesundes und erfülltes Leben führen.
Literaturverzeichnis
- Dollinger B: Salutogenese. Macht über die eigene Gesundheit? In: Dollinger B, Raithel J. (Hrsg.), Aktivierende Sozialpädagogik. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. 2006.
- Faltermaier T: Salutogenese. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. 2020. https://leitbegriffe.bzga.de/alphabetisches-verzeichnis/salutogenese/ (zugegriffen 10. Juni 2024)
- Goddemeier C: Aaron Antonovsky: Vater der Salutogenese. Deutsches Ärzteblatt 2019; 18: 366-67.
- Faltermaier, T. (2023). Gesundheitspsychologie. Grundriss der Psychologie, Band 21. 3., aktualisierte Auflage, Stuttgart: Kohlhammer.





